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20.04.2010

Zahlreiche Rechtsverstöße bei der Videoüberwachung

- Wahlbrink: Behörden und Kommunen ignorieren Datenschutzgesetz -



HANNOVER. Viele niedersächsische Behörden und Kommunen verstoßen beim Betrieb von Videokameras massiv gegen datenschutzrechtliche Vorschriften. 99 Prozent von 3.345 überprüften Geräten weisen Mängel auf. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD), Joachim Wahlbrink. "Das hatten wir so nicht erwartet: Fast alle überprüften Behörden und zwei Drittel der überprüften Kommunen ignorieren in irgendeiner Weise die Datenschutzbestimmungen", sagte Wahlbrink am Dienstag in Hannover. "Sie hängen keine Hinweisschilder auf, betreiben die Geräte seit vielen Jahren ohne die vorgeschriebenen schriftlichen Unterlagen und können mit den Kameras mitunter sogar in den absolut geschützten Bereich von Wohnungen schauen, was schlichtweg grundgesetzwidrig ist." Der Landesdatenschutzbeauftragte hatte von Dezember 2008 bis März 2010 die von einem Großteil der Landesbehörden und von 34 Kommunen eingesetzten Videokameras abgefragt (z.B. Straßen und Plätze, Gebäudesicherung, Schulen, Badeanstalten, Museen). Es war die erste Erhebung und Kontrolle dieses Umfangs in Niedersachsen.

Umfang der Datenschutzkontrolle

Auf einem Fragebogen waren detaillierte Angaben unter anderem zu Rechtsgrundlage, Standorten, Schwenkbarkeit, Erfassungsbereich, Zoomfähigkeit, Hinweisschildern und zum Vorhandensein der notwendigen schriftlichen Unterlagen zu machen. Einbezogen in die Untersuchung wurden

  • die Ministerien und die Staatskanzlei,
  • sämtliche Justizvollzugseinrichtungen, Gerichte und Staatsanwaltschaften,
  • die gesamte Landespolizei,
  • vier sonstige Landesbehörden,
  • acht Landkreise, 25 Städte, eine Samtgemeinde

Im Zuge der Ermittlungen erfolgte auch eine Kontrolle der Verkehrsmanagementzentrale (VMZ, ehemals Move) in Hannover sowie der Haltestellen der Hannoverschen Verkehrsbetriebe üstra.

Wahlbrink: "Wir haben die in den Fragebögen gemachten Angaben sehr genau geprüft und zum Beispiel aufgrund von nicht beantworteten Fragen oder Zweifeln an der Plausibilität 51 Vorortkontrollen mit insgesamt 1.505 überprüften Kameras durchgeführt."

Das Resümee des Landesdatenschutzbeauftragten fällt eindeutig aus: "Trotz der immens gewachsenen Zahl der staatlichen Kameras und der von ihnen produzierten Datenberge ist klar zu erkennen, dass die öffentlichen Stellen die damit einhergehende größere Verantwortung bislang nicht ernst genommen haben. Das Bewusstsein für Risiken und Gefahren einer Videoüberwachung ist in weiten Bereichen völlig unterentwickelt."

Wesentliche Mängel, wesentliche Zahlen

Wahlbrink bezeichnete einige Mängel als besonders gravierend:

  • Etliche Kameras erlaubten den Blick in Wohnungen, Seniorenheime, Hotels, Büros, Gartenkolonien, Arztpraxen und Krankenhäuser sowie in Hallenbad-Umkleidebereiche.
  • JVA-Insassen wurden in besonders gesicherten Hafträumen bei der Benutzung der Toilette videoüberwacht.
  • Auf zahlreiche Polizeikameras hatten auch andere Behörden und Firmen Zugriff, die mitunter Kamerabilder sogar ins Internet stellen konnten.
  • Die Speicherdauer der Aufzeichnungen betrug bis zu sechs Monate.
  • Behördenmitarbeiter konnten unter anderem in Raucherecken beobachtet werden.
  • Einige Kameras und Aufzeichnungsgeräte waren ohne Probleme für Unbefugte zugänglich und leicht manipulierbar.

Insgesamt registrierte der LfD im Rahmen der Kontrolle 3.345 Kameras. Gegenüber 2001 bedeutet dies nach Angaben Wahlbrinks eine besorgniserregende Ausweitung des Kamerabestandes öffentlicher Stellen. Allein im Bereich der Polizei wuchs die Zahl der Kameras seit 2001 um 144 auf 602 (plus 31 Prozent), bei den Ministeriumsgebäuden von 47 auf 98 (plus 108 Prozent), bei den Kommunen von 54 auf 498 (plus 822 Prozent). Im Justizbereich wurden 1.897 Kameras registriert, 1.275 davon im Innern der Justizvollzugsanstalten. 1.745 Kameras wurden durch gezielte LfD-Recherche nachermittelt. 71 Kameras, 45 Attrappen und 121 Aufzeichnungsgeräte müssen aufgrund der Datenschutzkontrolle abgebaut oder abgeschaltet werden. Fast überall (99 Prozent) fehlten die so genannten Vorabkontrollen und Verfahrensbeschreibungen. 206 Hinweisschilder wurden bislang aufgrund der Erhebung nachträglich aufgehängt. Positiv: Immerhin zehn Kommunen verzichten eigenen Angaben zufolge auf Videobilder. Auch die Polizeiakademie, die vier Regierungsvertretungen, zehn Anstalten des Justizvollzugs und einige Gerichte und Staatsanwaltschaften kommen ohne Kameras aus.

Der Landesdatenschutzbeauftragte betonte, bei den festgestellten Gesetzesverstößen, von denen einige inzwischen von den verantwortlichen Stellen korrigiert worden seien, handele es sich nicht um Bagatellen. "Den Bürgern wird vom Staat strikte Gesetzestreue abverlangt, und Fehlverhalten wird rigoros geahndet, ob beim Falschparken oder wegen der fehlenden Baugenehmigung für den Carport. Deshalb können die Bürger erwarten, dass staatliche Stellen sich ebenfalls ohne Wenn und Aber an die Gesetze halten."

Fast völlig ignoriert: Vorabkontrolle und Verfahrensbeschreibung

Die häufigsten datenschutzrechtlichen Schwachstellen waren neben den fehlenden Hinweisschildern die fehlenden, im Niedersächsische Datenschutzgesetz (NDSG) ebenfalls vorgeschriebenen Vorabkontrollen und Verfahrensbeschreibungen. Ziel der Vorabkontrolle (§ 7 NDSG; vormals Technikfolgenabschätzung) ist es nicht nur, die beabsichtigten Maßnahmen rechtlich zu bewerten, sondern auch die technisch-organisatorische Beherrschbarkeit neuer Informations- und Kommunikationsverfahren vor deren Einführung zu überprüfen. Mit ihr werden die Abläufe der automatisierten Datenverarbeitung transparent gemacht, Gefahren für die Rechte der Betroffenen aufgezeigt, Risiken abgeschätzt und Sicherungskonzepte entworfen. Die Vorabkontrolle muss vom behördlichen Datenschutzbeauftragten durchgeführt und schriftlich festgehalten werden.

Öffentliche Stellen sind ferner verpflichtet, in einer Verfahrensbeschreibung (§ 8 NDSG; vormals Dateibeschreibung) schriftlich zu dokumentieren, welche personenbezogenen Daten mit Hilfe welcher automatisierter Verfahren auf welche Weise verarbeitet werden und welche Datenschutzmaßnahmen dabei getroffen wurden. Die Verwaltungsvorschriften der Landesregierung zum Datenschutzgesetz fordern dies ausdrücklich und liefern einen landeseinheitlicher Vordruck gleich mit. Die Bürger können Einsicht in diese Unterlagen verlangen. Die Verfahrensbeschreibung ist von der datenverarbeitenden Stelle zu erstellen.

Wahlbrink: "Die Landesregierung hat hierbei ihre eigenen Vorschriften nicht befolgt. Es ist bittere Realität, dass es dieses elementare Datenschutz-Werkzeug bis zu unserer Überprüfung in den meisten Organisationen schlicht und einfach nicht gab. Aber ohne ein Verfahrensverzeichnis fehlt der Überblick, welche personenbezogenen Daten verarbeitet werden. Damit sind Zweckänderungen, ausbleibende Löschungen, Sicherheitsprobleme und weitere Datenschutzverstöße vorprogrammiert."

Forderungen und Hilfestellung

Wahlbrink sieht angesichts der offenkundigen Missstände auf Seiten der Behörden und Kommunen dringenden Handlungsbedarf. Er forderte sie auf, die aufgezeigten Mängel, sofern noch nicht geschehen, spätestens bis zum 31.07.2010 zu beseitigen und ihm dies mitzuteilen. Als Service für öffentliche Stellen im Land Niedersachsen stellte der Landesdatenschutzbeauftragte am Dienstag eine Orientierungshilfe zur Videoüberwachung vor.

Wahlbrink warnte nachdrücklich davor, den positiven Effekt von Videoüberwachung zu überschätzen. "Nach Ansicht von Wissenschaftlern ist es sehr fraglich, ob Überwachungstechnik den Alltag sicherer macht oder ob es sich bei Überwachungstechnik nicht vielmehr um symbolische Installationen handelt, die Sicherheit demonstrieren sollen und bestenfalls im Nachhinein in Einzelfällen zur Aufklärung von Straftaten geeignet sind." Auch der Einfluss auf die Kriminalitätsrate sei fraglich. Die bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen hätten die Effektivität von Videoüberwachungen jedenfalls nicht belegen können.

Nicht Bestandteil der aktuellen Erhebung und Kontrolle öffentlicher Videoüberwachungsanlagen waren unter anderem folgende Bereiche:

  • rund 1.000 weitere Kommunen,
  • Eigenbetriebe der Kommunen,
  • Hochschulen und Universitäten,
  • Hafenämter,
  • Einsatz von Polizeikameras bei Versammlungen, öffentlichen Veranstaltungen, bei Anhalte- und Kontrollsituationen.

Hinweis für die Redaktionen:

Aktuelle Fotos des Landesdatenschutzbeauftragten finden Sie unter www.lfd.niedersachsen.de (> Wir über uns > Der Landesbeauftragte)



Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen
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