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23.03.2012

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Ein modernes Datenschutzrecht für Europa!

Pressemitteilung zur 83. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 21./22.03.2012 in Potsdam

Zum Abschluss der 83. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder stellen die Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg, Dagmar Hartge, der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Thomas Petri (Konferenzvorsitz 2011) und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, gemeinsam die Ergebnisse der Konferenz vor:

Die Datenschutzkonferenz unterstützt die Absicht der Europäischen Kommission, den Datenschutz in der Europäischen Union zu modernisieren und zu harmonisieren. Sie fordert, für alle Mitgliedstaaten ein möglichst hohes Niveau festzuschreiben. Zu Beginn der Tagung stellte Viviane Reding, die für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft zuständige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, auf Einladung der Konferenz den Entwurf für eine europäische Datenschutz-Grundverordnung vor.

Die geplante Neuregelung kann nach Auffassung der Datenschützer zu einer wesentlichen Weiterentwicklung des Datenschutzrechts führen. Dies betrifft unter anderem die Vorgaben zum Einsatz datenschutzfreundlicher Technologien, wirksame Sanktionsbefugnisse sowie verstärkte Datenschutzrechte gegenüber länderübergreifend tätigen Unternehmen. Ausdrücklich begrüßen die Datenschutzbeauftragten die Aussage der Vizepräsidentin, dass die Gestaltungsspielräume der Gesetzgeber der Mitgliedstaaten zur Regelung der Datenverarbeitung öffentlicher Stellen der jeweiligen Staaten erhalten bleiben. Dies muss allerdings auch im Verordnungstext klarer zum Ausdruck kommen. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, über ein Mindestdatenschutzniveau hinaus weitergehende Regelungen zum Datenschutz zu treffen. Nach Auffassung der Konferenz können in Deutschland die durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Datenschutzgrundsätze nur auf diese Weise bewahrt und weiterentwickelt werden. Die Datenschützer sehen an verschiedenen Stellen noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, etwa im Hinblick auf anonyme und pseudonyme Nutzung elektronischer Dienste und die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden im Verhältnis zur Europäischen Kommission.

Für die Europäische Kommission betonte die Vizepräsidentin die Bereitschaft, einen engen Dialog mit allen Beteiligten führen zu wollen. Die Datenschutzbeauftragten werden den begonnenen Austausch fortführen und das weitere europäische Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten.

Im Hinblick auf den ebenfalls von der Kommission vorgelegten Entwurf einer Richtlinie für den polizeilichen und justiziellen Bereich bedauert die Konferenz, dass dieser in vielen Punkten hinter dem Entwurf für die allgemeine Datenschutzverordnung zurückbleibt. Gerade im Sicherheitsbereich sollte in der gesamten Europäischen Union ein möglichst hohes Mindestniveau unter Beachtung der mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen festgeschrieben werden.

Zur Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes sprechen sich die Datenschutzbeauftragten auch dafür aus, die vorgeschlagene Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen zu ergänzen. Ein Mitgliedstaat muss ausreichende Möglichkeiten haben, Anordnungen eines anderen Mitgliedstaats, Daten oder Beweismittel zu erheben und diesem zu übermitteln, zurückzuweisen, wenn ein solcher Eingriff nach seinem eigenen Schutzstandard nicht zulässig wäre. Der Grundrechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union darf auch im Strafverfahren nicht auf das niedrigste vorhandene Niveau abgesenkt werden. Hintergrund dieser Forderung ist der zurzeit auf europäischer Ebene beratene Entwurf einer Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung. Der Entwurf sieht trotz eines fehlenden einheitlichen Schutzstandards vor, Eingriffsentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden gegenseitig anzuerkennen.

Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten müssen die Persönlichkeitsrechte der potenziell Betroffenen bei der Erforschung von Überwachungstechnologien von Anfang an – also bereits bei der Ausschreibung der Projekte – berücksichtigt werden. Öffentliche Gelder dürfen nicht in Vorhaben investiert werden, die gegen Datenschutzvorschriften verstoßen. Zahlreiche Forschungsprojekte zur Entwicklung „intelligenter Sicherheitssysteme“ werden derzeit öffentlich gefördert. Ein Beispiel hierfür ist das EU-Projekt „INDECT“. Gegenstand dieser Projekte ist es, menschliche Bewegungs- und Verhaltensmuster auszuwerten, um die mögliche Gewaltbereitschaft oder andere vermeintliche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Gerade bei einer solchen Mustererkennung wird völlig unverdächtiges Verhalten registriert und ausgewertet. Deshalb besteht die Gefahr, dass ein Anpassungsdruck erzeugt wird, der die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt.

Angesichts des massiven Eingriffs der Quellen-Telekommunikationsüberwachung in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen bekräftigen die Datenschutzbeauftragten ihre Forderung an den Gesetzgeber, unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine rechtssichere Grundlage hierfür zu schaffen. Die Anwendung dieses Instruments muss auf wenige, eng definierte Fälle begrenzt werden und den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung jederzeit ausreichend vor Zugriffen sichern. Der im Vorjahr bekannt gewordene und heftig umstrittene Einsatz entsprechender Spionage-Software wird von einigen Datenschutzbeauftragten derzeit noch geprüft. Bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung handelt es sich um das Einbringen einer Software (z. B. des sogenannten „Staatstrojaners“) auf den Computer eines Verdächtigen mit dem Ziel, die dort verschlüsselte Kommunikation zu überwachen.

Die Konferenz hat sich mit der Öffentlichkeitsfahndung im Internet insbesondere in sozialen Netzwerken beschäftigt. Derartige Fahndungsausschreibungen gehen über die herkömmliche Veröffentlichung weit hinaus. Deshalb stellen sich hier wesentlich höhere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. Einen einmal im Netz veröffentlichten „Steckbrief“ zu löschen, ist in der Regel nicht mehr möglich. Die Fahndungsdaten werden von den privaten Betreibern häufig außerhalb der Europäischen Union gespeichert und sind somit der Verfügung durch die Polizei entzogen. Die durchaus übliche Registrierung des Nutzerverhaltens durch soziale Netzwerke ermöglicht zudem keinen unerkannten Zugriff auf die „Steckbriefe“ – eine solche Erfassung ist nicht einmal der Polizei erlaubt.

Die Konferenz wird Anforderungen an datenschutzgerechte Recherchen in sozialen Netzwerken erarbeiten und die Sicherheitsbehörden entsprechend beraten. Problematisch ist an solchen verdeckten Recherchen in sozialen Netzwerken, dass sie eine Ausnutzung des schutzwürdigen Vertrauens der Nutzerinnen und Nutzer darstellen können. Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen greifen im Vergleich zu offenen Maßnahmen grundsätzlich tiefer in die Grundrechte der Betroffenen ein.

Die Datenschutzkonferenz begrüßt, dass die Bundesrepublik Deutschland das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) vorerst nicht ratifiziert. ACTA ist ein völkerrechtliches Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union, ihren Mitgliedstaaten und neun weiteren Staaten zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Insbesondere aufgrund der für den Schutz des Urheberrechts im Internet vorgesehenen Regelungen war der Vertrag zuletzt Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Datenschutzrechtlich sind vor allem unklare Formulierungen des Übereinkommens problematisch, die so interpretiert werden könnten, dass Zugangsprovider verpflichtet werden, den Internetverkehr eines Rechteverletzers zu überwachen und Datenpakete mit rechteverletzenden Inhalten auszufiltern.



Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen
Prinzenstraße 5
30159 Hannover
Telefon 0511 120-4500
Fax 0511 120-4599
E-Mail an Ansprechpartner schreiben

Artikel-Informationen

erstellt am:
23.03.2012
zuletzt aktualisiert am:
07.01.2015

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